Yasmina Khadra: Die Attentäterin: Aktuelle Kolportage | Qantara.de (2024)

Yasmina Khadra, Ex-Offizier der algerischen Armee, hat sich seit einigen Jahren in Deutschland mit Krimis einen Namen gemacht. In dem jetzt erschienenen Buch "Die Attentäterin" behandelt er das Problem der Gewalt im Nahen Osten. Heribert Becker stellt es vor.

Yasmina Khadra, Ex-Offizier der algerischen Armee, hat sich seit einigen Jahren in Deutschland mit seinen Krimis einen Namen gemacht. In dem jetzt erschienenen Buch "Die Attentäterin" behandelt er das Problem der Gewalt im Nahen Osten. Heribert Becker stellt es vor.

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​​Erst seit 1999 weiß man, dass sich hinter dem weiblichen Pseudonym Yasmina Khadra ("Grüne Jasminblüte") ein Mann verbirgt: der 1955 geborene Algerier Mohammed Moulessehoul.

Er gehörte seit jungen Jahren der algerischen Armee an, und als diese 1989 Militärangehörige, die sich, wie er, publizistisch betätigten, zwang, ihre Erzeugnisse einer Zensurbehörde vorzulegen, veröffentlichte Moulessehoul, der seit langem auf Französisch schreibt, unter den beiden Vornamen seiner Frau.

Anfang 2000 schied Khadra nach beinahe 36 Jahren Dienst aus der algerischen Armee aus, und Ende des gleichen Jahres setzte er sich ins Exil nach Frankreich ab, wo er seither lebt.

Seinen ersten Roman veröffentlichte Khadra 1985; seitdem sind mehr als ein Dutzend weiterer Romane von ihm erschienen, darunter einige Krimis (Die Algier-Trilogie, Zürich 2006). Zahlreiche dieser Romane wurden, meist von Regina Keil-Sagawe, ins Deutsche übersetzt. Insgesamt sind die Bücher des Algeriers in 17 Sprachen erschienen.

Der 2005 publizierte Roman "L’Attentat", der nun unter dem Titel "Die Attentäterin" auch auf Deutsch vorliegt, soll in 14 weiteren Sprachen herauskommen und darüber hinaus verfilmt werden.

Aktuelle Themen

Was für ein Erfolgsautor also! Das liegt vor allem daran, dass sich Khadra vorzugsweise höchst aktueller und brisanter Themen aus der arabisch-islamischen Welt annimmt.

So geht es in "Wovon die Wölfe träumen" (1999, dt. 2002) um die Entwicklung eines jungen Mannes, der schließlich als Gewalttäter im islamischen Widerstand endet.

"Die Schwalben von Kabul" (2002, dt. 2003) spielt in der beklemmenden Atmosphäre, die im Afghanistan der Taliban herrschte.

"Les Sirènes de Bagdad" (2006) führt den Leser in den Irak nach der US-amerikanischen Invasion und des darauf folgenden Bürgerkriegs, wo ein junger Iraker, nachdem er durch allerlei Demütigungen seitens der "Befreier" eine Beute der Islamisten geworden ist, eine verheerende Katastrophe auslöst.

Eine Reise zu den Wurzeln

Gewalt, grauenvolle Gewalt im arabischen Raum, ist auch das Thema der Attentäterin. Der Ich-Erzähler dieses Romans, Amin Jaafari, ist gebürtiger Palästinenser, der die israelische Staatsbürgerschaft besitzt.

Als höchst erfolgreicher Chirurg, der es zu Ansehen und Wohlstand gebracht hat, lebt er mit seiner Frau Sihem in Tel Aviv, ohne sich sonderlich für den furchtbaren Konflikt, der ringsum grassiert, zu interessieren – "ein Aushängeschild für erfolgreiche Integration".

​​Da kommt es in Tel Aviv zu einem Selbstmordattentat, bei dem 17 junge Israelis ums Leben kommen und Dutzende andere verletzt werden. Was Amin im Traum nicht für möglich gehalten hätte: die Selbstmordattentäterin ist seine eigene Frau, die bislang – wenigstens dem Anschein nach – einen modernen, westlichen Lebensstil gepflegt hat wie er selbst.

Um herauszufinden, was Sihem zu der unfassbaren Gewalttat veranlasst hat, reist der Chirurg in die palästinensischen Gebiete der Westbank, aus denen er stammt und wo seine Frau sich zuletzt aufgehalten hatte. Es wird eine Reise zurück zu seinen Wurzeln, eine "Initiationsreise".

Während Sihem von den Palästinensern als Heldin gefeiert wird, sieht man in ihm, Amin, einen Renegaten und Vaterlandsverräter. Bemerkenswert ist an dieser Stelle des Buches die Darstellung der Situation, in der die Palästinenser im eigenen Lande leben müssen, etwa in Dschenin: "Im Vergleich zu dem, was hier abgeht", sagt ein Einheimischer, "ist die Hölle das reinste Hospiz."

Verständnis für die Gewalt

Ein Höhepunkt des Romans sind die Diskussionen, die Amin mit Verantwortlichen des palästinensischen Widerstands führt. Obwohl er von seinem Standpunkt als Bewahrer des Lebens, der er als Arzt ist, nicht abrückt, bleiben doch die Argumente der Gegenseite nicht ohne Wirkung auf ihn.

Er erfährt hier viel über die Motive des palästinensischen Kampfes gegen Israel. "Es gibt keine größere Katastrophe als die Erfahrung, gedemütigt zu werden", erklärt ihm ein palästinensischer Kommandeur. "Das ist ein grenzenloses Unglück, Doktor. Es raubt dir den Geschmack am Leben."

Amin beginnt das Volk, dem er entstammt, besser zu verstehen, und erahnt nun auch die Motive, die seine Frau zu ihrer Gewalttat getrieben haben.

Am Ende seines Romans kehrt Khadra zu dessen Anfang zurück, indem er eine grauenvolle Vergeltungsaktion der israelischen Armee gegen die palästinensische Zivilbevölkerung schildert, die zahlreiche Todesopfer – die meisten auch hier Unschuldige – fordert und bei der auch Amin schwer verletzt wird: der Kreis der Gewalt schließt sich – ein Kreis, aus dem es anscheinend kein Entrinnen gibt.

Literarische Schwächen

Laut Verlagswerbung hat André Glucksmann lobende Worte für "Die Attentäterin" gefunden, und angeblich zählt ein Autor wie J.M. Coetzee Yasmina Khadra "zu den weltweit bedeutendsten Romanciers".

Das ist eine sehr schmeichelhafte Eloge, denn vom literarischen Standpunkt besitzt zumindest dieser Roman ein eher mäßiges Niveau. Die Erzählung kommt recht kolportagehaft und zum Teil auch etwas melodramatisch daher, und die psychologische Zeichnung der Figuren ist kaum weniger flach als diejenige, die man von Seifenopern gewöhnt ist.

Über das, was in Sihem vorgeht, erfährt man gar nichts. Doch die literarische Qualität dürfte die meisten Leser hier weniger interessieren als die hochaktuelle Thematik. Das gilt wohl auch für diejenigen, die das Buch auf die Leinwand bringen möchten.

Heribert Becker

© Qantara.de 2006

Yasmina Khadra: Die Attentäterin. Roman.
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe
München Wien (Nagel & Kimche) 2006
270 Seiten, 19,90

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Mehr zum Roman "Die Attentäterin" beim Verlag Nagel & Kimche

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